In meiner Grundschulklasse gab es früher ein eineiiges Zwillingspärchen. Zwei Mädchen, die absolut – und wirklich bis auf die letzte Sommersprosse – gleich aussahen. Tun sie vermutlich immer noch, nur habe ich sie seit ca. 15 Jahren nicht mehr gesehen. Schade eigentlich, denn das Thema „Zwillinge“ bzw. „Doppelgänger“ finde ich immer noch spannend. Das geht sogar so weit, dass ich mal eine Hausarbeit zu diesen Thema verfasst habe, nämlich über das Drama Die Zwillinge von F.M. Klinger. Die literarische Bearbeitung dieses Themas begegnet dem interessierten Germanisten ansonsten v.a. in der Romantik, war es doch Jean Paul, der den Begriff „Doppelgänger“ als erster prägte und damit auf die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität aufmerksam machte.

Das Doppelgängermotiv hat seit dieser Zeit nichts von seinem Reiz verloren und gehört auch heute noch zu den immer wieder gerne gebrauchten Motiven in Literatur, Film und Fernsehen. Es fasziniert uns Menschen wohl einfach zu sehr, wenn zwei Personen sich so stark ähneln, dass man die eine für die andere halten könnte. Wie fühlt es sich wohl an, wenn man ständig für jemand anderen gehalten wird? Was macht das mit einem, mit der eigenen Identität, mit der Frage nach dem „Wer bin ich und was zeichnet mich aus?“. In Literatur, Film und Fernsehen sind es wohl nicht unbedingt die großen Identitätsfragen, sondern vielmehr die narrativen Spielmöglichkeiten, die dieses Motiv so beliebt machen. Man denke nur an Das doppelte Lottchen und Co.

Auch in Fernsehserien begegnen einem immer mal wieder Doppelgänger. Twin Peaks, Fringe, Lost und The Vampire Diaries fallen mir spontan dazu ein. Das an sich ist nun nichts Besonderes. Motive wiederholen sich. Besonders ist aber, wie gut und vielfältig sich mit dem Doppelgängermotiv spielen lässt. Wie wandlungsfähig und variabel einsatzfähig es ist.

In Twin Peaks z.B. lernen wir die Doppelgänger Laura, welche am Anfang der Serie ermordet aufgefunden wird, und ihre Cousine Maddy kennen. Maddy taucht das erste Mal in der vierten Folge der Serie (Rest in Pain) auf und ähnelt ihrer toten Cousine verblüffend. Der einzige Unterschied besteht in ihrer Haarfarbe (Laura war blond, Maddy ist braunhaarig). Aus figurenkonstellatorischer Sicht nimmt Maddy im Laufe der Zeit den durch Lauras Tod frei gewordenen Platz ein: Sie sieht aus wie Laura, lebt bei Lauras Eltern und umgibt sich mit Lauras Freunden Donna und James. Maddy füllt also hier als Lauras Doppelgänger die durch ihren Tod entstandene Lücke aus. Aus diesem Grund sieht man beide auch nie zusammen, denn Lauras Tod ist erst der Grund für Maddys Reise nach Twin Peaks. Tragischerweise ereilt sie am Ende das gleiche Schicksal wie ihre Cousine, wenn der von BOB besessene Leland Palmer sie ermordet. Mit der Doppelgängerin Maddy wiederholen sich somit die Geschehnisse in der Serie. Dem Zuschauer wird vor Augen geführt, wie es Laura vor ihrem Tod ergangen sein muss, als BOB sie regelmäßig quälte. Maddy – zunächst als „positive“ Version Lauras dargestellt – nähert sich, je länger sie in Twin Peaks unter BOBs Einfluss lebt, äußerlich und vom Verhalten mehr und mehr ihrer toten Cousine Laura an. Aus dramaturgischer Sicht ist Maddys Ermordung durch Lauras Mörder daher nur folgerichtig. Erst dadurch wird sie völlig zu Lauras Doppelgängerin.

Bei Fringe haben wir nun eine andere Ausgangssituation: Hier exisitieren Doppelgänger, weil es zwei parallele Universen gibt. Walter, Olivia, Astrid, Broyles, Nina, Lincoln, Charlie – fast alle Hauptfiguren werden im Laufe der Serie auch „auf der anderen Seite“ eingeführt. Lediglich Peter, der aus dem Paralleluniversum stammt und dessen Doppelgänger aus unserem Universum als Kind starb, erlebt der Zuschauer nicht in zwei Versionen. Die Doppelgänger in Fringe zeigen v.a., wie sich unterschiedliche Lebensumstände in unterschiedlichen Charakterzügen manifestieren (die ehrgeizige, aber unsichere Olivia, die als Kind mit Cortexiphan behandelt wurde vs. die selbstsichere, lustige Fauxlivia, die dieses Erlebnis nie machen musste), wie sehr sich zwei Personen trotz gleicher Kindheitserlebnisse doch unterscheiden können (der oberkorrekte, schüchterne Lincoln vs. der extrem selbstbewusste und entspannte Alt-Lincoln) und dass es auch wichtig ist, welche Menschen wir in unserem Leben haben oder nicht (Walters Zeit mit William Bell und der Laborunfall, der ihn nach St. Claires brachte vs. Walternate, der William Bell nie kennenlernte). Nur bei den beiden Astrids erleben wir, dass es auch genetische Unterschiede zwischen Doppelgängern geben kann (Alt-Astrid ist Autistin, Astrid nicht). Das Doppelgängermotiv dient in Fringe somit dazu, die Unterschiede zwischen den Universen und den Einfluss der Umwelt auf die Menschen herauszuarbeiten. Lebensumstände sind hier ein entscheidender Faktor bei der Charakterbildung. Gleichzeitig helfen die Doppelgänger dabei, die einzelnen Figuren genauer zu charakterisieren: Gerade bei den Begegnungen der Doppelgänger (Olivia/Fauxlivia, Lincoln/Alt-Lincoln, Astrid/Alt-Astrid) lassen sich durch die Kontrastierung wichtige Charakterzüge beider erkennen und gegenüberstellen.

Bei Elena und Katherine in The Vampire Diaries haben wir es anders als in Fringe mit genetischen Gründen für das Doppelgängertum zu tun: Katherine ist Elenas Vorfahrin aus dem 15. Jahrhundert. Nur der Umstand, dass Katherine als Vampir unsterblich ist, ermöglicht es somit, dass beide sich kennenlernen. Wenn man noch genauer sein will, dann sind beide Doppelgänger von Tatia Petrova, der Hexe, mit deren Blut die Original Vampires (Klaus und Co.) erschaffen wurden. Katherine und Elena sind somit Nachfahren Tatias und ihr Blut ist daher aus verschiedenen Gründen interessant für Klaus. Darum soll es aber hier nicht gehen, vielmehr lässt sich an Katherine und Elena gut beobachten, wie unterschiedlich beide trotz gleichen Aussehens sind. Katherine hat einen ungebrochenen (Über-)Lebenswillen und tut alles, um Klaus zu entkommen und am Leben zu bleiben. Dafür geht sie auch über Leichen. Elena hingegen ist das Leben ihrer Familie und Freunde wichtiger als ihr eigenes. Paradoxerweise sterben im Laufe der Serie trotzdem immer wieder Menschen, die Elena wichtig sind, um sie zu retten. Das hat aber wohl dramaturgische Gründe (die Hauptfigur der Serie kann schlecht für immer sterben…). Als Elena dann am Anfang von Staffel 4 zum Vampir wird, hat sie erwartungsgemäß große Probleme mit diesem Umstand und möchte am liebsten wieder ein Mensch sein. Katherine hingegen geht in ihrer Vampirexistenz auf. Dass ausgerechnet sie am Ende von Staffel 4 das Vampirismusheilmittel eingeflößt bekommt, gibt der ganzen Doppelgängersituation eine neue Dynamik. Näheres dazu lässt sich noch nicht sagen, da Staffel 5 erst in Kürze startet. Es bleibt die Frage, ob Katherine auch als Mensch ein selbstsüchtiges Biest bleibt oder ob sie charaktermäßig wieder eher in Richtung Elena driftet. Dann wäre der „Miststück-Platz“ für Elena frei, was durchaus interessant werden könnte…

Abschließend bleibt noch ein kurzer Blick auf Lost. Nichts, was es in dieser Serie nicht gibt. Über die Erscheinung und die Identitätsprobleme des „smoke monsters“ schrieb ich ja bereits früher in diesem Blog. Im Endeffekt ist das „smoke monster“ aber auch nichts anderes als ein Doppelgänger, nämlich all der toten Personen, die sich auf der Insel befinden. Warum es ihre Gestalt annehmen kann, bleibt offen; als einziger Doppelgänger hingegen kann es seine Erscheinung je nach Situation verändern. Es zielt also in seinen verschiedenen Erscheinungen eher darauf ab, die Menschen in seiner Umgebung durch das Auftreten als eine bestimmte Person zu irritieren oder zu manipulieren (z.B. wenn es Jack als sein Vater erscheint). Das Doppelgängermotiv stiftet hier also v.a. Verwirrung und wird weniger zur Charaktergegenüberstellung von gleich aussehenden Personen verwendet.

Hingeschaut! #5 feat. Twin Peaks: Season 1, Episode 1: Pilot; Season 1, Episode 4: Rest in Pain; Season 2, Episode 15: Lonely Souls und Fringe: Season 2, Episode 16: Peter; Season 2, Episode 22: Over There (Part 1); Season 2, Episode 23: Over There (Part 2); Season 4, Episode 8: Back to Where You’ve Never Been; Season 4, Episode 11: Making Angels; Season 4, Episode 14: The End of All Things; Season 4, Episode 17: Everything in It’s Right Place und The Vampire Diaries: Season 2: Episode 8: Rose; Season 2, Episode 9: Katerina; Season 2, Episode 21: The Sun Also Rises; Season 4, Episode 1: Growing Pains; Season 4, Episode 23: Graduation sowie Lost: Season 1, Episode 5: White Rabbit.

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