2016: Wenn es in der Gegenwart irgendjemand im Bereich Serien schafft, das Unmögliche möglich zu machen, dann ist es wahrscheinlich Netflix. Allein die Medienkampagne vor dem Start von A Year in the Life muss Millionen gekostet haben. Zugegeben, sie war gut gemacht. Wie auf Facebook die Kaffeetassen heruntergezählt wurden bis zum Startdatum – äußerst passend. Wer einen Account in irgendeinem sozialen Netzwerk hat (und diesen auch nutzt), wird im November nicht an den Gilmore Girls vorbeigekommen sein. Als treuer Fan der ersten Stunde war ich selbtverständlich schon seit Monaten aufgeregt und hatte mir den 25. November dick im Kalender eingetragen. Und an diesem Tag war es dann wieder da, dieses Gefühl aus früheren Zeiten, als man morgens aufstand und wusste: Egal, was heute (Schlechtes) passiert: Heute Abend bekomme ich eine neue Dosis meiner Lieblingsserie (Grey’s Anatomy-Fans wissen, wovon ich spreche…jeden Mittwoch!). An allen Stellen also Revivalfeeling.

*Der restliche Beitrag erhält Spoiler zu allen vier Revivalfolgen und auch zum Ende*

pablo

Eine Reise in die Vergangenheit

Das ändert sich auch nicht nach der Sichtung der ersten Folge. Wie im Rausch suchtet man sich durch den Winter und kann gar nicht glauben, dass man nun wieder in Stars Hollow zu Besuch sein darf – und dass alles noch so ist wie früher und alle, wirklich alle noch da sind, sogar Paul Anka. Bei so viel Euphorie ist es tatsächlich nicht ganz leicht, sich immer vollends auf die Story zu konzentrieren. Viel zu oft ist man mit „Oh, guck mal!“ und „Ah, der ist auch noch da!“ beschäftigt. So kommt es, dass die Zahnräder erst langsam einrasten und man sich zu fragen beginnt, was hier eigentlich vor sich geht.

Eine gute Entscheidung war es, sich nicht nur auf die Geschichte um Lorelai und Rory zu beschränken, sondern auch Emily einen eigenen Handlungsstrang zu geben. Es gibt nun also drei Gilmore Girls. Natürlich geht diese Entscheidung Hand in Hand mit der Tatsache, dass Edward Herrmann 2014 verstorben ist und Emily nun folglich in der Serie ohne Richard zurechtkommen muss. Tatsächlich ist die liebevolle Erinnerung an diesen Charakter und seinen Darsteller etwas, was mir in A Year in the Life gut gefallen hat. Es wird nicht versucht, die große Lücke, die Richard Gilmore hinterlässt, zu schließen oder gar totzuschweigen. Diese Lücke ist da und sie klafft das ganze Jahr über. Ich war immer großer Richard-Fan und tatsächlich berührt von dieser liebevollen Art, mit dem Tod eines Schaupielers umzugehen.

Die Rory-Story

Aber neben all der Sentimentalität und Nostalgie setzen dann irgendwann die Zahnräder ein und als das Jahr fortschreitet, verhaken diese sich bisweilen in der Rory-Story. Lorelai steht gefestigt im Leben, hat eine Sinnkrise und geht gestärkt daraus hervor. Emily wirft ihr altes Leben über den Haufen, entspannt sich endlich und erfindet sich neu. Aber Rory? Rory hat keinen Job, keinen festen Wohnsitz und – am irritierendsten – erstens keine Idee, wohin ihr Weg sie führen soll und zweitens auch keinerlei Antrieb, ihre Situation zu ändern. Stattdessen wohlt sie bei ihrer Mutter, arbeitet recht uninspiriert und für lau für die Stars Hollow Gazette und lässt ihren Freund am langen Arm verhungern, während sie eine Affäre mit dem Mann hat, den sie vor zehn Jahren nicht heiraten wollte: Logan.

Tatsache ist: Ich verstehe diese Rory nicht. Sie ist eine Fortsetzung der Rory aus Staffel sieben, die scheinbar in den letzten zehn Jahren das unstete Leben geführt hat, das sie damals begann. Warum sie sich in all der Zeit keinen festen Job bei einer Zeitung gesucht hat, erfahren wir nicht. Klar, die Journalismusbranche ist schwierig und schnelllebig. Sie ist auch unsicher, was Arbeitsbedingungen angeht. Dennoch ist es kaum vorstellbar, dass es von allen Personen auf der Welt ausgerechnet Rory Gilmore nicht gelingt, einen Job bei einer halbwegs akzeptablen Zeitung klarzumachen. Der einzige Grund, der mir einfällt, ist, dass sie so einen Job nicht will und es sich und anderen nicht eingestehen kann. Komischweise gibt ihr aber auch niemand aus ihrem Umfeld mal einen Schubs: Nein, Rory zieht zu Hause ein und arbeitet ohne finanzielle Gegenleistung in der örtlichen Lokalzeitung. Warum wird das von allen Seiten unkommentiert gelassen? Es muss ja nicht gleich Druck aufgebaut werden („Such dir einen Job!“), aber fragen könnte man ja mal („Sag mal, was hast du denn mit deinem Leben jetzt so vor?“). Das verwundert, aber es wird sogar noch wunderlicher. Kommen wir zu Logan.

Ich sage es immer wieder gerne, aber ich mag Logan. Ich kenne alle Argumente, die gegen ihn sprechen (reicher Schnösel), aber eines kann man nicht leugnen: Er hat Rory immer geliebt. Er hat sich geändert, für sie, und hätte sie geheiratet, wenn sie es denn gewollt hätte. Die Trennung der beiden in Staffel sieben war eine so unscheinbare und doch traurige Szene am Rande, dass dieses Ereignis fast untergegangen ist. Es wurde ja viel gerätselt, welcher Mann aus Rorys Vergangenheit denn nun im Revival ihr Herzblatt sein wird. Dass es Logan wurde, hat mich gefreut – die Art und Weise dieser „Beziehung“ jedoch nicht. Eine Affäre? Been there, done that. Schon in Staffel fünf hat das nicht funktioniert für Rory. Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe das große Gefühl, dass Rory es im Revival bereut, Logan nicht geheiratet zu haben. SIE könnte diejenige sein, die mit ihm in der schicken Londoner Wohnung lebt, ohne Geldsorgen, mit sicherem Job im Familienunternehmen. Stattdessen ist sie der Lückenfüller, wenn Odette nicht da ist. Rorys „Ausbruch“ mit der Life and Death-Brigade und der darauffolgende Abschied von Logan war der vielleicht emotionalste Moment im Revival.

Das Ende

Ich verstehe Rory und ihre Story nicht, aber vielleicht ist das auch gewollt. Vielleicht muss ihr Leben so in Scherben liegen, damit sie sich am Ende darauf besinnen kann, wer sie ist: Ein Gilmore Girl. Dass Rory ein Buch über ihr Leben mit ihrer Mutter schreibt, dass ausgerechnet Jess sie dazu auffordert, dass sie die ersten Kapitel am Schreibtisch ihres verstorbenen Großvaters schreibt – schlussendlich fügt sich alles zu einem Projekt zusammen, auf das Rory scheinbar die letzten Jahre vorbereitet haben. Wir wissen immer noch nicht, was sie langfristig mit ihrem Leben anzufangen gedenkt, aber wer weiß schon, was die Zukunft bringt?

Die sagenumwobenen letzten vier Worte schlagen dann ein Kapitel auf, das ich so nicht erwartet hätte. Dass Rory in die Fußstapfen ihrer Mutter tritt und – wahrscheinlich – alleinerziehende Mutter sein wird, lässt mich überrascht zurück. Es ist wieder ein Baustein, der nicht so recht in die Rory-Story zu passen scheint, sich nach einem Moment des Besinnens aber als konsequent herausstellt. Das Leben ist ein Kreislauf, die uralte Metapher leistet hier gute Dienste. Und gleichzeitig stößt sie – mal wieder – die Tür weit auf, um die Rory-Story in unterschiedlichste Richtungen weiterzuspinnen. Waren die letzten vier Worte also wirklich die letzten vier Worte? Da ist das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen.

Was bleibt…

Ein Fazit zu diesem Revival zu ziehen, fällt mir unglaublich schwer. Die vier Folgen haben mir Spaß gemacht, weil ich die Originalserie und all ihre charmanten Charaktere so liebe. Und das ist es auch, was für eine bisweilen etwas dünne Story entschuldigt: Dass hier Fanservice bis zum Abwinken betrieben wird und man sich als Gilmore Girls-Liebhaber der ersten Stunde so richtig fallen lassen kann. Von Miss Pattys Tanzschule über Taylors Supermarkt bis zum Dragonfly Inn und Lukes, von den Stadtversammlungen über Kirks verrückte Geschäftsideen (Öööööööber), den Straßenmusikanten und Misses Kims Antiquitäten – alles wurde wiederbelebt und um neue Ideen (z. B. die Thirtysomething-Gang oder die Stars Hollow Gazette) ergänzt. So entsteht das Bild der sich niemals ändernden Kleinstadt, die wir so lieben und in der wir uns so gut auskennen, dass es uns fast egal ist, was dort (nicht) passiert. Am Ende ist es ein bisschen wie im richtigen Leben: Manchmal ist es nicht so entscheidend, was du machst, sondern wo und mit welchen Menschen du zusammen bist. Unter dieser Prämisse bietet A Year in the Life durchaus einiges.

Habt ihr A Year in the Life schon gesehen und fühltet euch auch sofort in die Vergangenheit zurückversetzt? Oder ist für euch das Ende der „Originalserie“ das Ende und damit gut? Und versteht ihr, was mit Rory vorgeht?