Erinnert ihr euch noch? Im Juli schrieb ich einen Beitrag über das Thema Selbstbestimmung. Es brannte mir unter den Nägeln damals dieses Thema, hat mich nicht losgelassen und der Beitrag schrieb sich darum fast von selbst. Ich habe darin gefordert, dass Menschen sich mehr zutrauen, mehr an sich glauben sollten; dass sie ihren Leidenschaften folgen und sich nicht von gesellschaftlichen Konventionen daran hindern lassen mögen; dass Scheitern okay und als Chance begriffen werden sollte. Viele Rückmeldungen gabe es dazu, 17 likes und 38 Kommentare. Es ist einer meiner liebsten Beiträge inzwischen, weil er mir so wichtig ist. Die Botschaft ist mir wichtig. Und auch für mich persönlich war dieser Beitrag sehr wichtig.

Sei Pippi, nicht Annika!

Entstanden ist er in einer Phase, in der es mir nicht gut ging und ich sehr unglücklich mit meiner beruflichen Situation war. Als dann noch ein Todesfall in der Familie hinzukam, hat dieser das Fass zum Überlaufen gebracht. Ihr wisst, was dann passiert ist: Nach langem Hadern und Abwägen habe ich gekündigt. Habe den vermeintlichen Traumberuf Lehrerin freiwillig aufgegeben, inklusive 12 Wochen Ferien, Lebenszeitverbeamtung und A13. Heute weiß ich: Das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Nicht nur, dass ich den Beruf aufgegeben habe, sondern auch wie ich ihn aufgegeben habe. Ich habe gekündigt. Ich wurde nicht entlassen. Es wurde mir nicht zur Kündigung geraten. Ich bin auch nicht durchs Staatsexamen gefallen. Die Schule und Kollegen haben meine Kündigung bedauert; Fachleiter haben mir bescheinigt, dass ich den Abschluss hätte schaffen können. Wollte ich aber nicht. Kraft, Nerven und Zeit in einen Abschluss zu stecken, der mir nichts bedeutet, konnte ich nicht mehr ertragen, erschien mir sinnlos und fast als Strafe.

Es folgte eine Phase, in der ich mich erstmal berappeln und durchatmen musste. Das war nicht ganz leicht, aber ich hatte Unterstützung von Familie und Freunden und so konnte ich bald meine neu gewonnene Freiheit produktiv nutzen. Nachdem mein erster beruflicher Versuch ein solcher Reinfall war, war mir klar, dass ich meinen Leidenschaften folgen muss, wenn ich beruflich glücklich werden will. Und meine Leidenschaft, das ist genau das hier: Schreiben. Mit Worten kreativ sein. Ideen und Meinungen aufs digitale Papier bringen. Also schrieb ich Bewerbungen an Unternehmen, die genau das tun. Dabei spielte ich von Anfang an mit offenen Karten: In meinem Lebenslauf steht, dass ich meine Stelle als Referendarin selbst gekündigt habe. Es steht dort auch, dass ich kein 2. Staatsexamen habe. Das finde ich nur fair: Wer mich einlädt, soll das bewusst tun – und nicht, weil er oder sie denkt, ich hätte eben dieses Staatsexamen. Neun Bewerbungen habe ich geschrieben, sechs davon initiativ. Das Ergebnis: fünf Mal keine Reaktion, eine direkte Absage, zwei Vorstellungsgespräche, eine weitere Einladung zu einem Casting (beim Radio). Einem der Vorstellungsgespräche folgte das Angebot, zwei Tage zur Probe zu arbeiten. Diese zwei Tage waren aufregend, anregend, zwischenmenschlich sehr nett und ich habe das getan, was ich gerne mache: Geschrieben. Den ganzen Tag. Am Ende von Tag zwei wurde mir gesagt, dass ich das auch sehr gut könne. Dann bot man mir einen Job an.

Jetzt ist er unterschrieben, der Arbeitsvertrag, und ab November werde ich als Online-Redakteurin arbeiten, v. a. im Bereich Social Media. Es ist ein kompletter beruflicher Neuanfang und ich habe ihn (fast) ganz allein geschafft. Habe mich aus meiner Unzufriedenheit herausgearbeitet; habe alle verwaltungstechnischen Hürden gemeistert – ihr wollt nicht wissen, was es für einen Rattenschwanz nach sich zieht, wenn man als Beamter kündigt – und es komplett ohne finanzielle Unterstützung vom Staat geschafft; habe mir Firmen gesucht, bei denen ich wirklich gerne arbeiten möchte; habe viel Zeit und Mühe in die Bewerbungen gesteckt und – am allerwichtigsten! – habe immer daran geglaubt, dass das der richtige Weg für mich ist und er funktioneren wird. So überzeugt davon war ich, dass nicht mal die Sachbearbeiterin in der Arbeitsagentur mich demotivieren konnte, indem sie mir erklärte, dass ich auf dem Arbeitsmarkt schwer zu vermitteln sei und alleine kaum einen Job finden könne. Erbost bin ich nach dieser Ansprache gegangen. Wahrscheinlich existiert dort nun eine rote Akte mit meinem Namen, in der mein Unwille zur „Mitarbeit“, wie es so schön heißt, dokumentiert ist. Es könnte mir nicht egaler sein.

Ich weiß, dass ich viel Glück hatte, diesen Job zu finden. Aber ich glaube auch an das Glück des Tüchtigen. Und inzwischen v. a. auch an das Glück des Mutigen. Krisen bieten unheimlich viele Chancen und ganz viel Potential, etwas zu ändern, mit dem man schon lange nicht mehr glücklich war. Sie sind letztlich oft nur das Endprodukt einer Phase der Unzufriedenheit. Manchmal denke ich, ich bin jetzt ein anderer Mensch. Auch Freunde sagen mir, ich wäre verändert: fröhlicher, selbstsicherer, selbstbewusster, gleichzeitig entspannter und offener. Und das stimmt. Ich weiß jetzt so gut wie vielleicht noch nie zuvor in meinem Leben, wer ich bin und habe auch erstmals wirklich eine Idee davon, in welche Richtung sich mein Berufsleben entwickeln kann. Ich habe Lust darauf, Neues zu entdecken und Dinge zu tun, die ich noch nie getan habe, beruflich und privat. Ich möchte so viel Ausprobieren: einen Nähkurs machen, Stricken lernen, eine neue Sportart für mich entdecken, vielleicht – obwohl ich völlig talentfrei bin – mal wieder in einem Chor singen, mit dem Herrn Koch einen Tanzkurs nach dem Nächsten absolvieren, einen eigenen Garten anlegen und pflegen, verreisen an fremde Orte und und und. Diese Lebensphase bringt Veränderungen mit sich, die fast alle Lebensbereiche betreffen. Und obwohl ich Veränderungen eigentlich hasse und sie insgeheim auch fürchte, sind sie doch das, was uns im Leben voranbringt und uns neue Seiten an uns selbst entdecken lässt. Ich habe sie inzwischen wiedergefunden, meine innere Pippi, und werde dafür sorgen, dass wir beide uns nicht noch einmal verlieren.

Danke an alle, die mich in den letzten Wochen und Monaten hier begleitet und ebenfalls an mich geglaubt haben. Eure Wünsche und das Daumendrücken haben geholfen! 🙂

Habt ihr auch schon einmal eine (berufliche) Krise überwunden und seid gestärkt daraus hervorgegangen? Was tut ihr, um eure innere Pippi nicht zu verlieren?

Merken

Merken