Wie sehr das eigene Herz an etwas hängt, merkt man ja manchmal erst, wenn es endet.

Das gilt für Freundschaften genauso wie für TV-Serien. Und ganz besonders für TV-Serien, mit denen man vielleicht nicht sofort warm wurde und bei denen es etwas gedauert hat, bis man einen Zugang zur Geschichte und den Charakteren gefunden hat.

Mir erging es so mit Six Feet Under. Die Sichtung fand in zwei Blöcken statt (Staffel 1+2+3 sowie Staffel 4+5) und beinhaltete eine Pause von etwa anderthalb Jahren. Diese Pause war nicht von Anfang an geplant, sondern hat sich einfach ergeben. Das Leben und so, ihr kennt das. Vor ein paar Wochen hatte ich dann urplötzlich wieder Lust darauf, in die morbid-charmante Welt der Fishers einzutauchen und zu erfahren, wie es mit ihnen weiter- bzw. zu Ende geht. Ich habe es nicht bereut.

Der Rest der Beitrags enthält Spoiler zum Ende der Serie!

Aber fangen wir vorne an: Man sagt ja, dass Beerdigungen nicht für den Verstorbenen sind, sondern für die Hinterbliebenen. Erst mit diesem Ritual wird die Endgültigkeit des Sterbens, des Verlustes real für die meisten Menschen und bietet gleichzeitig einen Abschluss und die Perspektive, nach vorne zu schauen in ein Leben ohne die geliebte Person. Man blickt noch einmal zurück auf das gelebte Leben und das ist schmerzvoll, aber auch schön. In Six Feet Under hat der Zuschauer dieses Ritual in jeder Folge durchlebt. Er sah jemanden sterben, sah die Hinterbliebenen, die voller Trauer, Wut oder manchmal auch Fassungslosigkeit das Abschiedsritual planten und sah die Fishers, die dieses durchführten. Oft fiel dabei das Wort closure, das ich sehr passend finde und für das ich so recht keine deutsche Übersetzung finden mag, die mich vollends zufriedenstellt. Closure, das ist ein gedanklicher Abschluss mit etwas bzw. Abschied von etwas; das ist das Akzeptieren, dass eine Lebensphase zu Ende gegangen ist und nun eine neue beginnt; das ist gleichzeitig der Blick nach vorn und der Blick zurück. Somit ist closure etwas, wonach wir Menschen streben und oft hadern wir damit, wenn uns dieser Abschluss verwehrt wird.

In Six Feet Under finden wir den Abschluss durch den Todesfall in jeder einzelnen Folge. Das bietet dem Zuschauer Konstanz und etwas, woran er sich festhalten kann. Doch das ist nur die eine Seite, denn das eigentliche Interesse des Zuschauers gilt natürlich der Familie Fisher und allen, die dazugehören. Wenn man die Serie in der heutigen Zeit schaut und weiß, dass sie insgesamt fünf Staffeln umfasst, kommt spätestens in Staffel vier unweigerlich irgendwann der Moment, in dem man sich fragt, wie es für die einzelnen Charaktere zu Ende gehen wird und in dem man anfängt, sich Enden zu wünschen. „Hoffentlich bleiben Keith und David ein Paar und gründen eine Familie; hoffentlich findet Claire ihren Weg; hoffentlich raufen Nate und Brenda und Ruth und George sich zusammen“. So in etwa. Wir hatten Spaß an Davids Discophase zu Beginn der Serie, aber möchten ihn nicht so enden sehen. Wir können verstehen, dass Claire keine Lust aufs College hat, möchten aber trotzdem, dass sie etwas aus ihrem Talent macht. Wir leiden mit Ruth, als George krank wird und finden den Gedanken schlimm, dass sie als Krankenpflegerin wider Willen enden könnte. Wir können es kaum ertragen, dass Rico und Vanessa sich lieben, aber ihre Probleme nicht überwinden können. Das Auf und Ab im Leben der Fishers nimmt uns mit auf eine emotionale Reise, aber jede Reise kommt irgendwann zu ihrem Ende und wir als Zuschauer wünschen uns ein gutes Ende. Und zwar sehr.

Als erfahrene TV-Serienschauer kennen wir zahlreiche Serienfinals. Offene und geschlossene, gute und schlechte, kreative oder vorhersehbare. Diejenigen, die uns am meisten ärgern, sind diejenigen ohne Abschluss, etwa wenn eine Serie vorzeitig abgesetzt wird und uns mit einem Cliffhanger zurücklässt. Auch offene Enden lassen Spielraum zur Interpretation, aber hier haben wir als Zuschauer die Chance, unserer Phantasie freien Lauf zu lassen und damit zu einem befriedigenden Abschluss zu kommen, also selbst für closure zu sorgen. Einige Serien bieten geschlossene Enden, etwa durch ein Happy End oder auch durch den Tod des Protagonisten. Damit sind wir meistens zufrieden, auch wenn dort bisweilen arg auf die Tränendrüse gedrückt oder kitschige Klischees bemüht werden. Dennoch: Besser ein Ende mit Schrecken oder Hochzeitstorte als ein Schrecken oder Ungewissheit ohne Ende.

Das Serienfinale von Six Feet Under ist das Ende einer langen, emotionalen Reise für den Zuschauer und er bekommt, wonach er sich so sehr gesehnt hat, wenn auch anders als erwartet. Er sieht Claire in ihre Zukunft davonfahren und sieht gleichzeitig die Leben all ihrer Familienmitglieder vorbeiziehen, inklusive Tod und Todesjahr. Er erfährt alles Wichtige über das weitere Leben der Charaktere, die er in fünf Staffeln lieb gewonnen hat, sieht Hochzeiten und Abschiede und sieht, wie einige im Moment des Todes ein anderes Familienmitglied sehen, das schon verstorben ist. Ruth sieht Nate und Nathaniel, David sieht Keith. So fügt sich alles zusammen und der Episodentitel „Everyone’s waiting“ ist nicht nur leere Worthülle, sondern ein Versprechen, das am Ende eingelöst wird. Mehr closure geht nicht.

Kurz bevor Claire ihre Familie in Richtung Zukunft verlässt, möchte sie ein Foto von allen machen und Nate – zu diesem Zeitpunkt schon tot – sagt ihr, dass das nicht geht: „You can’t take a picture of this because it’s already gone!“. Problemlos lässt sich hier eine Metaebene aufmachen, in der man darüber nachdenken kann, ob Zeit wirklich so linear verläuft, wie wir sie erleben oder ob die Trennung von Leben und Tod eigentlich so klar ist, wie wir sie empfinden. Dass Nathaniel nach seinem Tod allen Familienmitglieder immer mal wieder erscheint, stützt letztlich beide Theorien.

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(Quelle)

Aber auch ohne Metaebene gibt das Serienende dem Zuschauer das, was wir als Menschen einfach brauchen: einen Abschied, einen Rückblick und einen Ausblick und somit einen Abschluss und damit die Chance, nach vorne zu blicken in ein Leben ohne neue Folgen Six Feet Under. Wir wissen, wie es den Fishers ergeht und das stimmt uns zufrieden, lässt sie einen Platz in unserem Serienliebhaberherz einnehmen und gibt dieses Herz gleichzeitig frei für weitere Abenteuer im TV-Serienland. Das gelingt nur wenigen Serien und macht diese fünf Staffeln zu etwas ganz Besonderem und einer großartigen emotionalen Reise, auf die man sich gerne einlässt.

Weiterempfehlung: Unbedingt!     

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