„Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei!“

Lehrer sind Menschen, die mittags nach Hause fahren, dann höchstens eines Stunde am Schreibtisch verbringen und ein bisschen was korrigieren und gegen 15 Uhr Feierabend machen. Sie haben jeden Nachmittag, jeden Abend und jedes Wochenende frei sowie 12 Wochen bezahlten Urlaub pro Jahr.

Bei diesen Traumbedingungen: Warum sind dann nicht viel mehr Menschen in Deutschland Lehrer?

Weil jeder insgeheim weiß, dass hinter dem Job wesentlich mehr steckt. Lehrer sind nicht nur Experten in ihrem Unterrichtsfächern und müssen das jeden Tag, in jeder Situation ausstrahlen. Nein, sie sind auch Pädagogen und Streitschlichter, Motivationskünstler, Verwaltungsprofis und regelrechte Fließbandkorrekturleser. Sie haben Arbeitszimmer, die bis unter die Decke vollgestapelt sind mit Ordnern und sonstigem Schulmaterial: Laminiergerät, Bastelpappe, Softbälle für Vokabelabfragespiele, Magnete, Kreppband, Karteikarten, Stifteboxen und und und. Sie schnippeln bis spätabends Memoryspiele aus und korrigieren Vorabiklausuren unter dem Tannenbaum, schlagen sich mit Fachkonferenzsitzungen und Dienstbesprechungen, Elterntelefonaten, Förderunterricht und Klassenleitungen herum, praktizieren nebenbei in ihrem Unterricht natürlich selbstverständlich und problemlos Inklusion und verbringen Ihre Samstage in irgendwelchen Schulbuchzentren, um sich das neue Lehrwerk für ihr Fach erklären zu lassen.

Der Alltag ist ein Kampf gegen die Uhr

Lehrer zu sein ist ein geistig und körperlich herausfordernder und vor allen Dingen unglaublich zeitintensiver Job. Kein normaler Lehrer mit einer Vollzeitstelle hat eine 40-Stunden-Woche und jeden Nachmittag, jeden Abend und jedes Wochenende frei. Das ist völlig unrealistisch. Vielen, die ich kenne, ist das egal. Sie lieben ihren Beruf und erreichen durch Routine und eine bewundernswerte Gelassenheit eine Einstellung, die es ihnen ermöglicht, trotz der Arbeitsbelastung ausgeglichen und zufrieden zu sein und auch Zeit zum Abschalten zu finden. Routine ist hier, wie gesagt, nicht zu unterschätzen. Denjenigen, denen diese fehlt – namentlich den Referendaren und Berufsanfängern -, sieht man bereits nach wenigen Schuljahreswochen an, wie kräftezehrend das Lehrerdasein ist. Das Hauptproblem ist oftmals, dass man sich als Anfänger zunächst selbst in die Unterrichtsthemen einarbeiten muss. Vieles, was an der Uni gelehrt wird, ist für die Schule schlichtweg völlig irrelevant. Diese Einarbeitung neben dem normalen Arbeitsalltag zu leisten, und das auch noch möglichst umfassend und kurzfristig, ist der blanke Horror. Damit ist es ja aber lange noch nicht getan, denn danach muss das Thema, das man sich gerade selbst erst angeeignet hat, auch noch didaktisch-methodisch möglichst gut verpackt werden, um es kompetent und schülerorientiert unterrichten zu können. Schlaf ade. Wochenende ade. Ferien ade. Freizeit und soziale Kontakte ade.

Für mich habe ich schon vor längerer Zeit entschieden, dass ich mir mein Arbeitsleben so nicht vorstelle. Ständiger kurzfristiger Zeitdruck; ständig das Gefühl, inkompetent zu sein; ständig das Gefühl, auf der Stelle zu treten und den Berg an Arbeit niemals abarbeiten zu können; wenig gesellschaftliche Wertschätzung und eigentlich keine sichtbaren Arbeitsergebnisse – nein. So kann und möchte ich nicht leben und arbeiten. Ich weiß, dass das nur eine Seite der Medaille ist; es gibt auch die guten Seiten: Die schönen Momente im Unterricht und die Interaktion mit Schülern; die Unterstützung von Kollegen; nicht zuletzt die Gewissheit, einen sicheren und anständig bezahlten Job zu haben, der sich auch mit der Familie vereinen lässt. Das ist wohl mit ein Grund, warum der Lehrerberuf gnadenlos verweiblicht.

Das System Schule überleben

Im vergangenen Schuljahr habe ich viel darüber gelernt, wie das System Schule am Laufen gehalten wird. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass an Schulen grundsätzlich Personal fehlt; es wird also von Tag 1 eines jeden Schuljahres an ein Mangel verwaltet. Kollegen arbeiten mehr Stunden als geplant; teilweise über Jahre, wenn sie Fächer haben, die nur schwer zu besetzen sind (an meiner Schule sind das z. B. Mathe, Kunst oder auch Politik). Alle, ausnahmslos alle, machen Vertretungsstunden; oftmals sogar mehrere pro Woche. Der Krankenstand ist dementsprechend hoch: Dauerhafte Überbelastung und ständiger kurzfristiger Zeitdruck machen anfällig für jede Art von Infekt, weil Erholungs- und Ruhemöglichkeiten fehlen. Ich hatte letztes Schuljahr  nicht umsonst ständig Erkältungen.

Letztlich – so meine Meinung – kann man sich v. a. als Berufsanfänger seine eigene körperliche und psychische Gesundheit als Lehrer nur erhalten, wenn man einige – oder alle? – der folgenden Punkte berücksichtigt:

  • Muss es wirklich eine Vollzeitstelle sein? Braucht man das Geld dringend? Oder ginge es nicht auch mit etwas weniger, etwa mit den Bezügen aus einer 3/4 Stelle? Das sind dann je nach Schulform bis zu 6-8 Stunden und bis zu 2-4 Lerngruppen weniger!
  • Die Ansprüche an den eigenen Unterricht deutlich herunterschrauben: Im Buch oder Arbeitsheft gibt es eine passende Übung? Wunderbar. Alles, was Vorbereitungszeit einspart, ist gut. Das aufwändige Stationenlernen kann man auch noch in drei Jahren, wenn man mehr Routine hat, ausprobieren.
  • Das Netzwerk nutzen: Man sollte keine Scheu haben, andere Lehrer der eigenen Fächer anzusprechen und nach Material oder Literaturtipps zu fragen. Viel zu oft sind Lehrer Einzelkämpfer. Sollte jemand sein Material nicht herausrücken wollen, dann freundlich erneut die eigenen Materialien anbieten und anpreisen. Tauschgeschäfte sind win-win-Situationen. Ansonsten Onlineplattformen nutzen.
  • Nein sagen und dabei bleiben! Das Protokoll der Konferenz kann auch jemand anderes schreiben. Zu der für einen selbst nicht relevanten Fortbildung kann auch ein Kollege gehen. Die AG kann auch mal ausfallen.
  • Die eigenen Wünsche deutlich machen! Wenn man nicht gerne in der Unterstufe unterrichtet, weil einen die Kabbeleien und die Unruhe stressen, dann sollte man das dem Stundenplaner auch klar kommunizieren. Vielleicht übernimmt man dann im Gegenzug lieber einen Oberstufenkurs?
  • Feste Arbeitszeiten einrichten und einhalten, z. B. immer „nur“ bis 19 Uhr arbeiten. Eine Liste der Dinge machen, die an dem Tag bis 19 Uhr erledigt werden müssen und dann gnadenlos Zeit zuteilen. Dazu gehören z. B. auch Elterntelefonate oder E-Mail-Antworten. Wenn für die Vorbereitung der morgigen Stunde in Klasse 8 dann nur 10 Minuten bleiben, tut es auch mal eine Kopie oder eine Stillarbeit. Denn ganz ehrlich: Den Schüler ist es meistens eh egal…
  • Sich einen Ausgleich schaffen – und zwar möglichst jeden Tag. Mit dem Hund spazierengehen, Yoga machen, mit der besten Freundin Wein trinken, im Urlaub zwei Wochen am Strand liegen – alles, was nichts mit Schule zu tun hat, ist perfekte Ablenkung.

Als einzelner kann man das System Schule kaum verändern. Man hat letztlich zwei Alternativen:

  1. Man akzeptiert das System, wie es ist, und versucht, damit zurechtzukommen und seine eigene kleine Nische zu finden. Vielen Lehrern gelingt das ganz gut, einigen gelingt das nicht so gut und nicht wenige gehen langfristig am System kaputt.
  2. Man akzeptiert das System, wie es ist, und beschließt selbstbestimmt, kein Teil davon zu sein.

Genau Letzteres habe ich getan. Innerlich schon vor Monaten, offiziell erst vor wenigen Tagen. Ja, ihr hört richtig. Ich habe gekündigt.

Zweifel und Unzufriedenheit gab es schon lange. Aber ich habe dagegen angekämpft, wollte wirklich noch ein halbes Jahr Teil des Systems Schule sein. Letztlich ging das nicht mehr. Es gab einen Auslöser für diese Entscheidung, etwa zu dem Zeitpunkt, als ich diesen Beitrag veröffentlicht habe. Ich möchte nicht ins Detail gehen, sondern nur betonen, dass dieser Auslöser in mir selbst lag. Weder Schule noch Ausbilder noch Seminar waren daran beteiligt und ich hege keinerlei Groll gegen diese drei. Es war eine schwere Entscheidung, die Kraft, Nerven und Tränen gekostet hat. So weit gekommen zu sein und jetzt kurz vor dem Ziel den Weg nicht mehr weitergehen zu können – das nagt, trotz der Gewissheit, dass die Entscheidung richtig war.

In der Nacht nach meiner Kündigung habe ich so gut geschlafen, wie seit Monaten nicht. Und dass, obwohl ich Sicherheit, festes Einkommen und soziales Umfeld gegen Ungewissheit und den Status „Arbeitslosigkeit“ eingetauscht habe. Dennoch: Ich fühle mich frei. Ich besinne mich darauf, wer ich wirklich bin. Viel zu oft hatte ich im vergangenen Jahr das Gefühl, völlig vergessen zu haben, was mir eigentlich Freude bereitet und was wirklich zählt in meinem Leben. Das System Schule hat mir viel gegeben, aber es hat mir auch viel genommen. Ich habe entschieden, dass es das in Zukunft nicht mehr tun wird und dass dieser Weg, den so viele erfolgreich und glücklich beschreiten, nicht der richtige für mich ist. Ich schließe mich Frank Turner an und sage: Well, if that’s your road then take ist, but it’s not the road für me. 

Habt ihr auf Anhieb euren Traumberuf gefunden oder euch auch einmal (oder mehrfach?) „verlaufen“? Denkt ihr über einen Jobwechsel nach oder befindet ihr euch vielleicht gerade in einer beruflichen Umbruchsphase? Oder seid ihr in dem „System“, das ihr euch ausgesucht habt, glücklich? Ich bin gespannt auf eure Geschichten!

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