In meiner Masterarbeit beschäftige ich mich mit dem Thema Identität. Nun gut, ich tue dies auf linguistische Weise – dennoch hat die eingehende Beschäftigung damit nicht nur dazu geführt, dass ich mir nun zunehmend Gedanken darüber mache, wer ich eigentlich bin und – noch viel schlimmer – wer ich sein und wo ich in meinem Leben hin will (nur so am Rande: Das hat bislang etwa jede Woche mindestens eine mittelschwere Lebenskrise verursacht) – nein, vermehrt stelle ich fest, dass ein Großteil der TV-Serien der letzten Jahre sich ebenfalls dem Thema der Identität, der Identitätssuche und den damit verbundenen Problemen annimmt.

Angefangen bei Tony Sopranos Zerrissenheit zwischen der bürgerlichen und der Mafia-Welt (The Sopranos) über Walter Whites dramatische Veränderung nach seiner Krebserkrankung und seinen Aufstieg zum Drogenboss (Breaking Bad), Peter Bishops, Olivia Dunhams und Cos. Spagat zwischen zwei Universen, mehreren Zeitlinien und anderen Versionen ihrer selbst (Fringe), Oliver Queens Verwandlung vom Playboy zum Rächer mit Pfeil und Bogen (Arrow), Mike Ross‘ Betrügerleben als Anwalt ohne Juraabschluss (Suits) bis hin zu Elena Gilberts Selbstfindungsproblemen nach ihrer ungewollten Verwandlung in eine Vampir (The Vampire Diaries) – kaum eine Serie, die etwas auf sich hält, kommt ohne mindestens einen Charakter daher, der auf irgendeine Weise mit der „Wer bin ich und wer will ich sein-„Frage kämpft. Die Beispielreihe ließe sich gewiss noch fortsetzen (ich denke da z.B. an Figuren aus Lost, Mad Men oder auch Buffy). Ein auffällig häufig auftretendes Motiv ist dabei das des Doppelgängers. Die neueste Serie, die sich dessen und der sich damit zwangsläufig aufdrängenden Identitätsfrage annimmt, ist die kanandische Science-Fiction-Serie Orphan Black.

Anders jedoch als etwa in The Vampire Diaries, wo Doppelgänger immer Vorfahren voneinander sind oder in Fringe, wo die Doppelgängerfrage auf der Existenz eines Paralleluniversums beruht, handelt es sich bei den Doppelgängern in Orphan Black um Klone. Die Serie wählt also keinen phantastischen, sondern einen biologisch-technischen Zugang zu diesem Thema, was das Ganze aber kein bisschen weniger spannend macht. Im Gegenteil. Obwohl eine Science-Fiction-Serie, kommt die Ausganssituation in Orphan Black sehr realistisch daher: Jemand hat Gott gespielt und nun existiert eine unbekannte Anzahl von Frauen, die sich genetisch (und damit auch äußerlich) bis aufs Haar gleichen. Wer sagt also, dass so etwas in unserer Welt heutzutage, wo künstliche Befruchtung und Leihmutterschaft in vielen Teilen der Welt fast normal geworden sind (womit ich übrigens kein Problem habe – es muss jeder selbst wissen, wie weit er oder sie für ein eigenes Kind gehen würde), nicht auch passieren kann?

Ausgangspunkt der Erzählung ist eine junge Frau namens Sarah Manning, die in einem Bahnhof Zeuge wird, wie eine Frau Selbstmord begeht, die ihr Zwilling hätte sein können. Sarah, auf der Flucht vor ihrem Freund und auch ansonsten eher gefangen in einem problembelasteten Leben, nimmt kurzerhand die Identität der Toten an. Was sie nicht ahnt, ist, dass Beth – die Tote – nicht ihr einziger Doppelgänger ist. Da gibt es noch Katja (gerne auch nur als „die Deutsche“ bezeichnet), Alison (die ein totaler Kontrollfreak und eine Übermutter ist), Cosima (einen Wissenschaftsnerd), Helena, die glaubt, sie wäre das Original und der Ursprung der Klone sowie weitere, (noch) nicht bekannte andere Klone. Zusammen mit Alison und Cosima versucht Sarah, die im Mittelpunkt des Geschehens steht, herauszufinden, wo sie und die anderen Klone herkommen. Eines verbindet nämlich alle: Sie sind Waisen und wissen nichts über ihre biologischen Eltern. Jemand versucht allerdings, Sarah und Co. daran zu hindern, Nachforschungen anzustellen. Dafür geht dieser jemand auch über Leichen.

Als großer Fan des Doppelgängermotivs (Mal ehrlich, gibt es etwas Gruseligeres und gleichzeitig Faszinierendes als sich vorzustellen, man würde plötzlich aus dem Nichts jemandem gegenüberstehen, der genauso aussieht wie man selbst?) hat mir Orphan Black von Anfang an gut gefallen. Die Geschichten rund um die Klone sind spannend, teilweise wirklich nervenaufreibend und gleichzeitig sehr unterhaltsam (u.a. Sarahs „Bruder“ Felix sei Dank). Außerdem ist Tatiana Maslany, die alle Klone spielt, wirklich sensationell gut. Ich habe teilweise völlig vergessen, dass es sich wirklich nur um eine Schauspielerin handelt, die den Großteil der Serie stemmt. Sie verleiht jedem Klon eine ganz eigene Persönlichkeit, was wesentlich zum Charme der Serie beiträgt.

Die große Frage nach dem „Wer bin ich?“ nun wird in Orphan Black eher unterschwellig thematisiert, nichtsdestotrotz drängt sich eine Betrachtung der Serie unter diesem Gesichtspunkt meiner Meinung nach geradezu auf. Dies liegt v.a. auch daran, dass das Doppelgängermotiv hier nicht nur Mittel zum Zweck ist – also nicht a la „das doppelte Lottchen“ lediglich dazu fungiert, dass die Klone sich füreinander ausgeben, ihre Leben tauschen und somit lustige oder spannende Verwechslungsspielchen stattfinden können -, sondern mehr dazu genutzt wird, zu zeigen, dass zur Identität mehr gehört als Gene. Die grundlegende Frage ist und bleibt allerdings: Wenn jemand genauso aussieht wie ich, so spricht, sich so kleidet, wir biologisch identisch sind und uns alle verwechseln – was macht mich dann noch einzigartig? Wer bin ich dann eigentlich? Dass diese nicht so einfach zu beantworten ist und dass es darauf v.a. nicht nur eine Antwort gibt, zeigt der Umgang der Klone miteinander und mit diesem Thema: Helena will ihre „Schwestern“ töten, weil man sie hat glauben lassen, dass sie das „Original“, der Ur-Klon ist; Cosima nähert sich ihrer Herkunft durch Genforschung; Sarah stellt zusammen mit ihrer Pflegemutter Nachforschungen über ihre Eltern an.

Der Zuschauer erlebt somit nicht nur, wie vermeintlich identische Menschen ganz unterschiedliche Leben leben, sondern auch, wie diese Leben sich auf ihren Umgang mit der Klon-Problematik auswirken (wenn z.B. herauskommt, dass Beth ihren Job als Polizistin genutzt hat, um jemanden aus dem Weg zu räumen, der den Klonen hätte gefährlich werden können). Ein besserer Beweis dafür, dass Identität – und alles was damit zusammenhängt (Persönlichkeitsmerkmale, Einstellungen und letztlich auch Verhalten) – längst nicht nur genetisch bedingt ist, fällt mir nicht ein.